Dienstag, 4. Dezember 2012

When the signs say “Disappear here”

Disappear-here1
Es war wenige Minuten vor Schließzeit. Der Kaisers beinahe leer. Ich wollte nach Hause. Manchmal denkt man, das Vorhandensein von mehr als zwei Bier und einer halbleeren Tube Senf im Kühlschrank mache ein Zuhause ein richtigeres Zuhause. Eines, um das man sich kümmert und das man stets so hinterlässt, dass es sich freut, wenn man zurückkommt.

Ich starrte in fremde Einkaufskörbe. Neidisch, auf das System und den Plan hinter den ausgewählten Produkten.Ich fing auf der Suche nach meinem eigenen Plan nochmal von vorne an. Ging zu der Antipasti im Eingangsbereich zurück. Merkwürdige italienische Teigbällchen glotzten mich an. Man musste nur aufschauen, schon sprang der Käse aus seinem Kühlregal. Alles war laut und bewegte sich. Ich sah zum Gemüse, in der Hoffnung, das wirke beruhigend. Kartoffeln vielleicht. Sie kommen aus der Erde – sicher muss man sie nur anfassen. Schon zweimal hatten mein Korb und ich das Kühlregal mit den Ökomilchprodukten umkreist.

Mir wurde schwindlig. Warum ist es so unfassbar hell in Supermärkten – steigert das die Kaufbereitschaft? Ich musste vom Gemüse weg, ich brauchte ja gar keines – meine Meerschweinchen waren vor kurzem ausgezogen. Ich fürchtete, in den glatten, grau-melierten Fußbodenfliesen zu ertrinken. Auf die Linien treten. Immer. Vor dem Brotregal blieb ich stehen. Brot braucht jeder von Zeit zu Zeit. Hier konnte ich bleiben. Der Korb wechselte vom linken auf den rechten Arm und wieder zurück. Ich drehte Däumchen. Man steht vor dem Brotregal und dreht Däumchen. Ich überlegte kurz, ob meine Lippen hörbare Laute formten, als ich diesen Satz dachte. Die Bewegung meiner Daumen war beruhigend. Es war etwas, dass ich steuern konnte, das in meiner Gewalt lag. Jederzeit könnte ich aufhören mit dem Däumchen drehen, redete ich mir ein. Weiter. Der Anblick ungarischer Salami löste einen Würgereiz aus. Ich dachte an den Geruch von Salz. Manchmal riecht Salz so stark, es sticht in der Nase. Zucker riecht nicht. Der ist bloß da. Durchsichtig.

Die Regale wankten in ihren Gängen. Die Produkte rollten auf dem Boden herum, dass man stolperte. Aus den oberen Reihen fielen Cornflakespackungen heraus, die großen, die Familienpackungen. Manche platzten, ich glaubte, ein Knirschen unter meinen Schuhen zu hören. Meine Wanderschuhe zermalmten Cornflakes, endlich wusste ich, warum ich sie in der Stadt trug. Ich lief schneller und fand mich auf dem Weg zur Kasse.

Luft. Draußen zwang ich mich feuchte Luft zu atmen. Der Gedanke, die Wohnungstür hinter mir zu schließen und an ihr entlang nach unten auf den Flurfußboden zu rutschen um dort sitzen zu bleiben, kaum auf. Auch die Straßenschilder tanzten jetzt. Autos gewährten sich gegenseitig die Vorfahrt, während die Scheinwerfer nach wenigen Metern im Nebel verloren gingen. Ich schaute diesem einen Auto nach. Es kam von rechts und hatte schon lange vorher begonnen, links zu blinken. Blinken ist unnötig, dachte ich. Blinken ist unnötig, weil man damit lange vorher eine Entscheidung trifft, wo man hinfahren will. Eigentlich hat man jedoch Zeit, bis man auf der Mitte der Kreuzung steht. Ich sah es genau: Wenn man auf der Mitte der Kreuzung steht und dann das Lenkrad einschlägt, selbst dann gelingt es noch, in eine Richtungen abzubiegen. Meine Beinesetzten sich voreinander. Fingen sie nicht auch an zu blinken? Ausschalten würde ich sie nicht können. Nicht mehr heute. Sie blinkten dann bis morgen durch. Die Haustür sprang auf, im Treppenhaus war noch Licht. Ich hoffte, niemandem auf den Stufen zu begegnen, Angst vor der Unfähigkeit, mit den blinkenden Beinen noch rechtzeitig auszuweichen.

Wieder hatte ich meinen Briefkasten nicht aufgeschlossen. Es könnte ja was drin sein. Aber ich hatte ja auch keine Hand frei, sagte ich laut als ich die Tür von innen schloss. Ich sah auf meine Hände, die gerade den Linoleumfußboden berührten, als ich mich im Schneidersitz vor den Kühlschrank setzte. Der Einkaufsbeutel neben uns – dem Kühlschrank und mir. Ich hatte Brot gekauft, sah ich. Die kleine Packung, für Singlehaushalte. Schimmeln wird es trotzdem. Da war noch eine Packung Ziegenkäse. Mittags hatte ich in einem Blog ein Foto gesehen. Die Unterschrift lautete: „Ziegenkäsebrot mit Aprikosenmarmelade“ erinnerte ich mich. Das Glas Marmelade wanderte aus dem Beutel in das oberste, leere Fach. Auch eine Packung Orangensaft kam zum Vorschein. Ich stellte sie in die Tür des Kühlschranks. Dort stand noch eine halbe Flasche Hohes C. Ich schloss die Kühlschranktür ohne sie herauszunehmen und wegzuschütten. Ich wusste ja schließlich, dass die Flüssigkeit schon vergammelt war. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Kühlschranktür und spürte Magneten und Postkarten auf meiner Wirbelsäule. Erst abbiegen, wenn es beinahe zu spät ist und manchmal erst danach sehen, wo man lang gekommen war. Dann fürchtet man auch die Urtiere nicht mehr, die sich in jedem Supermarktgang verbargen.

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